Wider die „billige Gnade“
Eindrückliches Seminar über Bonhoeffer von Peter Zimmerling
Zum 19. Juli 2025 hatte die Ev. Kirchengemeinde Winterlingen zu einem Seminarnachmittag eingeladen – als Fortsetzung und Abschluss ihres Bekenntnistages vom 29. Juni. Zahlreiche Christen folgten der Einladung zu diesem lehrreichen Seminar, dem gewissermaßen der erste Satz aus Bonhoeffers bekanntem Buch „Nachfolge“ das Thema gegeben hat: „Nachfolge heute – Billige Gnade ist der Todfeind der Kirche“.
Als Referent konnte der renommierte Bonhoeffer-Forscher Peter Zimmerling aus Leipzig gewonnen werden, vormals Professor für Praktische Theologie. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Peter Zimmerling, der in Tübingen promoviert und in Heidelberg habilitiert wurde, mit Dietrich Bonhoeffer und sagt: Mit Bonhoeffer wird man nie fertig. Wohl sei Bonhoeffer in der ganzen Welt verehrt, doch in Berlin, wo er aufgewachsen ist, eher nicht. Da sei sein Vater Karl Bonhoeffer, angesehener Psychiater und Leiter der Psychiatrie an der Charité, bekannter. Zimmerling führt das auf das atheistisch geprägte Berlin zurück. In der Grunewald-Kirche, in der Bonhoeffer konfirmiert wurde, erinnert nichts mehr an ihn.
Während in der EKD über eine gestufte Kirchenmitgliedschaft nachgedacht werde und damit keine Entscheidung angestrebt werde, habe Bonhoeffer den umgekehrten Weg gewählt und auf Entscheidung gedrungen. Wenn man Menschen zum christlichen Glauben einlade, müsse man sie in die Entscheidung stellen, so Zimmerling. Martin Luther bezeichnete er als Weihnachtschristen, da dieser das Kind in der Krippe als den väterlichen Liebeserweis angesehen habe. Das Weihnachtsfest habe er damit aufgewertet. Bonhoeffer hingegen sei ein Bergpredigtchrist. Während für Luther die Bergpredigt ein Spiegel sei, sei sie für Bonhoeffer eine Regel. In den USA sei Bonhoeffer zum Pazifisten, wenn auch zu keinem ideologischen, geworden; durch die Begegnung mit dem Nationalsozialismus habe er aber umgedacht.
Beachtenswert ist, dass Peter Zimmerling sagte: Man kann ein religiöser Mensch sein, ohne Christ zu sein.
Zum christlichen Glauben gehöre unabdingbar der Glaube an Christus. 1925, als Bonhoeffer als Stipendiat in Amerika ist, wird ihm klar, dass er jetzt erst Christ geworden ist.
Nachfolge bedeutet für Bonhoeffer dann, in das Bild Christi umgewandelt zu werden, was auch Bereitschaft für das Martyrium voraussetze. Ein frühes Sterben habe Bonhoeffer nicht negativ gesehen. Stark sei Bonhoeffer von der „Imitatio Christi“ des Thomas von Kempen beeinflusst worden, so Zimmerling. Dieses Buch, nebst der Bibel das meist gelesene Buch unter Christen, habe Bonhoeffer immer wieder gelesen.
In seinem Buch „Gemeinsames Leben“ zitiert er immer wieder aus diesem Buch, und zwar ausschließlich positiv. Bonhoeffer ist stark ökumenisch ausgerichtet.
Er hat in „Gemeinsames Leben“ eine Lanze für ein zölibatäres leben gebrochen. Im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, dessen Leiter Bonhoeffer war, hat er mit dem Bruderhaus die erste evangelische Kommunität eingerichtet. Leider wurde das Predigerseminar nach nur eineinhalb Jahren von der Gestapo geschlossen. „Gemeinsames Leben“ sei der Rechenschaftsbericht über die Arbeit in Finkenwalde und bilde den Basistext für andere Kommunitäten, führte Peter Zimmerling aus. Professor Zimmerling zeigte sich davon überzeugt, dass die Weitergabe des Glaubens das Schwierigste in der Kirche sei.
Dem traditionellen evangelischen Glauben, in welchem Glaubenserfahrungen kritisch gesehen werden, steht Peter Zimmerling zufolge entgegen, dass der Glaube Erfahrungen mache, wobei dies durch Luther und Bonhoeffer gestützt werde, denen zufolge der Glaube im Alltag erfahrbar sei. Dabei gehöre gerade für Luther das Dunkle zur Glaubenserfahrung hinzu, wobei sich der Reformator dahingehend geäußert habe, Gott sei uns im Leiden am nächsten.
Schon bald nach der Reformation sei das Christsein mit Bürgerlichkeit gleichgesetzt worden, was dem Neuen Testament jedoch keineswegs entspreche. Es könne durchaus vorkommen, dass der Einsatz für Gott gegen die Bürgerlichkeit stehe. Da Bonhoeffer sein ganzes Leben in den Dienst Gottes gestellt habe, habe er ein unbürgerliches Leben geführt. Weiter führte Peter Zimmerling aus, sowohl Luther als auch Bonhoeffer seien der Meinung gewesen, dass sich unser Leben zum Besseren verändern müsse. Für beide habe die Beichte zum Christsein gehört; sie sei Aktualisierung der Säuglingstaufe.
Zu der im Protestantismus verbreiteten Missachtung der Kirche, sagte Professor Zimmerling und meinte, ohne Kirche halte man im Glauben nicht durch, könne der Glaube auch nicht weitergegeben werden. Auch Bonhoeffer sei der Ansicht gewesen, dass Christsein ohne Kirche nicht überleben könne.
Die Kirche sei existenziell für den Glauben. Für Bonhoeffer habe es denn auch zwei Glaubensinhalte gegeben, die unverrückbar feststehen: Jesus Christus und die Kirche.
Die EKD beschreitet Peter Zimmerling zufolge mit ihrem Bestreben, anschlussfähig zu sein, einen Irrweg, da damit theologische Inhalte zur Disposition gestellt würden.
Es könne aber nicht sein, dass der Unglaube zum Maßstab werde. Die biblischen Aussagen verdienten einen Vertrauensvorschuss, aber man solle den Menschen auch Zeit lassen, in die Wahrheit der Bibel hineinzuwachsen.
Zum Ende seiner Ausführungen ging Zimmerling noch kurz
auf die Wirkungsgeschichte Bonhoeffers ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sich demnach recht unterschiedliche Gruppen von Bonhoeffer inspirieren. Zum einen solche, die geistlich wachsen und in der Heiligung vorankommen wollten, zum andern aber auch solche, die ihn politisch vereinnahmten und ihn etwa für die Befreiungstheologie in Südamerika benutzten.
Die Aussprache verlief angeregt.
Beim Tyrannenmord ging Bonhoeffer davon aus, dass zwei Gebote sich gegenüberstehen: zum einen das Liebesgebot und zum andern das Tötungsverbot. Die Familie Bonhoeffer wusste genau von der Vernichtung der Juden. Und da galt für Bonhoeffer das Liebesgebot für die Juden mehr als das Tötungsverbot für einen Tyrannen. Deshalb konnte er einem Attentat auf Hitler zustimmen. Ihm war aber nur allzu gut bewusst, dass er damit schuldig wird. Es gibt Situationen, da wird man so oder so schuldig.
Man muss dann Schuld auf sich nehmen, um größeres Unrecht zu verhindern und die Hoffnung haben, dass Gott einem diese Schuld vergibt.
Für Bonhoeffer habe die Kirche immer nur Bekennende Kirche sein können.