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Was bewegt Muslime, Christen zu werden?
 Worin Ex-Muslime uns westlichen Christen Vorbilder sind

Seit Jahren wächst die Zahl der Muslime, die Christen geworden sind. Neue – meist heimliche – Hausgemeinden entstehen. Eine deutliche Zunahme gab es jedoch erst in jüngerer Zeit, wie die Bewegung „Communio Messianica“ beobachtet. Was bewegt Muslime, Christen zu werden? Was können wir Christen in Europa von ihnen lernen? Darüber sprach IDEA-Redakteurin Erika Gitt mit Harun Ibrahim. Er leitet die Bewegung.
   

Fast jeden Sonntag bekomme ich Taufbilder aus aller Welt“, berichtet Harun Ibrahim. Der ehemalige Muslim ist Ratsvorsitzender der „Communio Messianica“ (CM) – einer weltweiten Bewegung sog. „Muslim Background Believers” (MBB/ Gläubige mit muslimischem Hintergrund). Es handele sich dabei um keinen klassischen Kirchenbund. Ibrahim: „Für uns Exmuslime spielt die Denomination oder Konfession keine große Rolle – wir verstehen uns als Christen. Über theologische Feinheiten streiten wir uns nicht.“ Einzig die Gemeinschaft und das Ziel, andere Muslime mit dem Evangelium zu erreichen, zähle.

Bekehrungswelle durch Krisen und Kriege
Derzeit halten sich etwa 17.000 Hauskirchen weltweit zu der Bewegung, sagt Ibrahim. Davon seien über 3.000 im Jahr 2025 gegründet worden. Dies betreffe die gesamte islamische Welt, vor allem die arabischen Kerngebiete im Nahen Osten und Nordafrika sowie südlich der Sahara. Besonders in Krisengebieten beobachte er aktuell eine Bekehrungswelle. So höre er etwa im Gazastreifen von ein paar Muslimen, die ihr Leben Jesus geben. Der Krieg habe einigen Palästinensern das wahre Gesicht des Islams gezeigt: „Während Allah fordert, von seinen Anhängern mit Gewalt verteidigt zu werden, opferte Jesus sich selbst für die Menschen. Was für ein Unterschied!“
 
Zahlreiche Muslime hätten den in Moscheen gepredigten Hass satt und seien auf der Suche nach einer Alternative. Manche von ihnen würden über die Sozialen Medien mit dem Evangelium erreicht. Treffen seien – wenn überhaupt – nur in kleinen Hausgruppen möglich. Ibrahim schätzt die Zahl der Konvertiten in Gaza auf bis zu 1.000. „Es gab schon vor Kriegsausbruch Christen im Gazastreifen, davon sind viele geflohen. Nachgerückt sind Neubekehrte, die den Islam verlassen haben.“

Auch im Iran, Syrien, dem Jemen oder Sudan weiß Ibrahim von ähnlichen Entwicklungen. Die dortigen Kriege wirkten wie kleine Katalysatoren für das Christentum: „Für den Sudan hatten wir in diesem Jahr die Vision, rund 250 Hauskreise zu gründen. Mehr als die Hälfte ist bereits erreicht. Dafür sind wir sehr dankbar.“

Zunahme der Verfolgung
Wie Ibrahim weiter berichtet, erlebten die Christen im Iran nach dem Krieg mit Israel im Juni dieses Jahres eine Zunahme der Verfolgung. Sie würden als Unterstützer Israels gewertet und sogar im öffentlichen Fernsehen diskreditiert. Das halte Iraner aber nicht davon ab, sich dem Christentum zuzuwenden. Wie im Gazastreifen haben Ibrahim zufolge auch die iranischen Bürger genug vom Islam. Er zeigt sich überzeugt, dass es bald zu einer Öffnung des Landes kommen wird.

Erfolgsfaktor Internet und Theologie
Ein Erfolgsfaktor für die Zunahme von Bekehrungen unter Ex-Muslimen ist das Internet. Es ist laut Ibrahim praktisch überall verfügbar. Als Bewegung biete CM online Informationen über verschiedenste Plattformen an, etwa über soziale Netzwerke oder TV-Programme. „Früher lief alles viel langsamer“, erinnert sich Ibrahim, der auch eine christliche Medienplattform betreibt. Bestellt ein interessierter Muslim nach einer seiner Radio- oder Fernsehsendungen ein Buch, habe die Abwicklung mehrere Wochen gedauert. Jetzt laufe alles praktisch in Echtzeit. Auch Bibelübersetzungen und Buchprojekte sind Teil der Arbeit von CM. In den vergangenen Jahren hätten zudem deutlich mehr Exmuslime Theologie studiert – zumeist über das Internet oder teils sogar im Westen, so Ibrahim. „Das hat die Qualität und den Erfolg unserer Arbeit noch einmal deutlich erhöht.“ Auch organisierten sich Exmuslime neuerdings immer strategischer.

Kirche als Ersatzfamilie
Doch den größten Erfolgsfaktor sieht der Ex-Muslim in der Gemeinschaft der Konvertiten selbst. „Während im Westen die Religion nur ein Teil des persönlichen Lebens ist, gehört sie für Muslime allumfassend zum Alltag.“ Nicht selten wendeten sich jedoch die Familie und Freunde bei einem Übertritt zum Christentum ab. Das sei für junge Christen eine Katastrophe. Ibrahim: „Muslime haben ein deutlich größeres Gemeinschaftsempfinden, während Westler viel individualistischer geprägt sind.“ 
So würden die Hauskirchen häufig zu lebensnotwendigen Ersatzfamilien und schützten davor, dass die Neubekehrten aufgrund von Einsamkeit wieder zum Islam und damit in die muslimische Gemeinschaft zurückkehrten.

Keine Konkurrenz zu klassischen Kirchen
Genau in diesem Punkt sieht Ibrahim den Unterschied zwischen der CM-Bewegung und klassischen Kirchen. Nicht selten hätten etwa die traditionellen Kirchen in Verfolgungsländern Angst, Ex-Muslime in Leitungspositionen zu berufen oder als Pastoren zu ordinieren – aus Sorge vor staatlichen Repressalien. Es brauche daher die CM, um einen Ort zu schaffen, wo sich Konvertiten aufgefangen und gefördert wissen. „Wir sind eine Ergänzung zu den etablierten Kirchen“, betont Ibrahim.

Was wir lernen können
Doch warum sind Exmuslime so erfolgreich in ihrer Mission? Was unterscheidet sie von Christen im Westen? Diese Fragen kann auch Ibrahim nur schwer beantworten. Er selbst stammt aus einer muslimischen Familie im Nahen Osten, kam später nach Europa, besuchte dort eine Kirche – und begegnete Jesus. Doch er wagt dennoch eine Antwort: „Ich glaube, es ist ihr Mut. Ex-Muslime haben eine tiefe und lebensverändernde Begegnung mit Christus erfahren, die sie teilweise sehr viel kostet.“

Glaube sei in der islamischen Kultur kein privater Aspekt und werde ganz selbstverständlich thematisiert. Hier sieht Ibrahim auch das Potenzial, wie Exmuslime für den Westen ein Segen sein können: „Wir sollten wieder lernen, anderen von unserem Glauben zu erzählen – ohne Angst vor den Konsequenzen.“ Er könne sich gut vorstellen, dass die Konvertiten als Missionare etwa in Europa zu positiven Vorbildern in den lokalen Kirchen werden. „Letztendlich ist es unsere Vision, dass alle Menschen auf dieser Welt von Jesus hören. Lasst uns das gemeinsam angehen!“

Die Idee zur Gründung der Bewegung „Communio Messianica“ entstand 2015 auf dem Kongress „Christenverfolgung heute“. Heute ist sie Mitglied der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und soll nach eigenen Schätzungen Kontakte zu rund vier Millionen Konvertiten in etwa 80 Ländern haben. 


(Herbst - 2025